Die Medizin soll durch den technischen Fortschritt revolutioniert werden und das menschliche Leben deutlich verlängern. Darin sind sich Forschende einig. Reporter und Buchautor Thomas Schulz sagt, was grosse Techkonzerne damit zu tun haben, was ein längeres Leben für die Altersvorsorge bedeutet und ob die Unsterblichkeit mehr als nur ein Gedankenspiel ist.

Herr Schulz, wird es in Zukunft normal sein, seinen 100. Geburtstag zu feiern?
Ja, davon gehe ich aus. Wann genau die Mehrheit der Bevölkerung dieses Durchschnittsalter erreicht, wird vom medizinischen Fortschritt abhängen. In der Lebenserwartung gibt es immer wieder Sprünge durch technologische Entwicklungen, wie etwa aktuell durch die künstliche Intelligenz. Daher werden wir hier keinen linearen, sondern einen exponentiellen Anstieg sehen. Dass die Jahrgänge, die heute zur Welt kommen, 100 Jahre alt werden, ist die konservative Schätzung. In der Altersforschung gehen eigentlich alle Fachleute davon aus, dass es viel mehr Menschen in noch früheren Generationen sein werden, die dieses Alter erreichen.

Ist es aus Ihrer Sicht erstrebenswert, so alt zu werden?
Meine Antwort ist die, die wohl alle geben würden: Ja, wenn man dabei gesund ist. Aktuell sind die letzten 20 Jahre oftmals mit Krankheiten und Schmerzen verbunden. Das ist natürlich nicht erstrebenswert. Aber die Entwicklung zeigt dahin, dass die Gesundheitsspanne länger wird, weil Krankheiten besser behandelt werden können.

Wer 1950 geboren wurde, hatte eine Lebenserwartung von 66 Jahren. Bei den heutigen Neugeborenen liegt sie bereits bei 100 Jahren. Wird die Unsterblichkeit einmal zum realistischen Szenario?
Damit befasse ich mich nicht so sehr. Einige bekannte Fachleute gehen davon aus, dass es keinen zwingenden biologischen Mechanismus gibt, der die aktuell angenommene Grenze von 120 Jahren erzwingt, und dass theoretisch auch ein Leben bis 200 oder 250 möglich ist. In der Wissenschaft ist es momentan umstritten, welche Mechanismen die Lebenserwartung begrenzen. Im Tierreich gibt es einige Arten, die deutlich älter werden als wir Menschen. Da kann man dagegenhalten, dass es für komplexere Lebewesen schwieriger ist, ein solches Alter zu erreichen. Allerdings müsste es doch genau für solche möglich sein, auch diese Grenze zu manipulieren. Ich lasse es mal so stehen (lacht).

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In der Lebenserwartung gibt es immer wieder Sprünge durch technologische Entwicklungen, wie etwa aktuell durch die künstliche Intelligenz.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass grosse Techkonzerne dank KI und Datentechnologie die Medizin revolutionieren werden. Wieso haben diese Technologien auf die Medizin einen so grossen Einfluss?
Letztlich treiben diese Technologien jeden Fortschritt in den Naturwissenschaften. Damit sind alle Technologien gemeint, die mit Datenmanagement und -wissenschaft zu tun haben, ebenso KI als Hauptbereich davon. Das sehen wir auch in der Medizin; beispielsweise darin, dass Gentherapien möglich werden, aber auch beim Covid-Impfstoff. Es ist simpel: KI und Big Data ermöglichen einen enormen Erkenntnisgewinn, weil wir dadurch mit ganz anderen Datenmengen arbeiten können. Man kann etwa in der Krebsforschung nun von jedem Patienten das Genom sequenzieren lassen, also die DNA aufschlüsseln und analysieren. Das ist eine riesige Rechenaufgabe, die noch vor zehn Jahren undenkbar war, heute aber problemlos machbar ist.

In welchem Bereich der Medizin sehen Sie den grössten Einfluss solcher Technologien?
Der grösste Fortschritt ist in der Krebsforschung messbar. Krebs ist die zweithäufigste Todesursache, daher wurde schon immer viel Geld für die Forschung bereitgestellt. Die anderen beiden grossen Felder, die herausstechen, sind Gentherapien und solche gegen neurodegenerative Krankheiten wie etwa Alzheimer. Aber es ist gar nicht so einfach, etwas herauszugreifen, weil es in allen Gebieten eine Grundbeschleunigung gibt. Da tauchen plötzlich irgendwo Dinge auf, mit denen niemand gerechnet hat.

Werden grosse Techkonzerne die Medizin der Zukunft sogar stärker bestimmen als etwa Pharmakonzerne oder Gesundheitsfachleute?
Nein, nicht direkt. Google zum Beispiel wird kaum ein Pharmaunternehmen werden und Medikamente verkaufen wollen. Diese Unternehmen liefern aber die grundlegenden Technologien für die Medizin der Zukunft. Als nächster grosser technologischer Fortschritt zeichnen sich die Quantencomputer ab, denen eine ganz eigene Informatik zugrunde liegt. Sie dürften in den kommenden vier bis sechs Jahren einsetzbar sein und einen ähnlich grossen Einfluss haben wie KI. Bei solchen Entwicklungen haben Techkonzerne einen grossen Vorsprung. Denn solche Technologien benötigen eine grosse Rechenleistung und es kostet Millionen, derartige Programme zu trainieren. Warum sollte ein Pharmakonzern diese Infrastruktur nachbauen? Ich halte es für wahrscheinlicher, dass sich die Firmen diese Dienstleistungen einkaufen werden.

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Es ist simpel: KI und Big Data ermöglichen einen enormen Erkenntnisgewinn, weil wir dadurch mit ganz anderen Datenmengen arbeiten können.

Was bedeutet ein längeres Leben für die finanzielle Selbstbestimmung des Einzelnen?
Wenn die Zeitspanne zwischen Pensionierung und Tod statt 15 Jahre 40 beträgt, braucht es ein System, welches das finanziert. Dass dies momentan nicht funktionieren würde, kann man sich ausrechnen. Wenn wir alle noch älter werden, dann wird das die Sozialsysteme belasten. Für den Einzelnen dürfte das bedeuten, sich finanziell besser aufstellen zu müssen.

Müssen Menschen in Zukunft also noch bewusster fürs Alter vorsorgen?
Das wäre die Hoffnung. Die Aufklärungsarbeit stösst bei der Altersvorsorge aber bereits jetzt an ihre Grenzen. Man erreicht bisher meist nur den Bevölkerungsteil, der schon gut gerüstet ist. Mit den Botschaften auch zu denjenigen Personengruppen zu gelangen, die bisher kaum fürs Alter vorgesorgt haben, ist eine Herausforderung. Und ich fürchte, dass diese Themen für viele schneller als erwartet kommen werden, weil die Menschen sich eine lineare Beschleunigung gewohnt sind. Die Lebenserwartung dürfte aber viel rasanter ansteigen.

Sie sind nun 50; bereiten Sie sich bereits konkret auf ein längeres, beschwerdefreies Leben im Alter vor?
Ich bereite mich darauf vor, gesünder alt zu werden. Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass wir im mittleren Alter, also zwischen 40 und 50, viel dafür tun können und müssen. Die körperliche Fitness spielt eine grosse Rolle dabei, wie gut es einem im Alter geht. Wer mit 80 noch den Berg hochlaufen will, kann nicht erst mit 70 anfangen, zu trainieren. Alle Langzeitstudien zeigen, dass die Leute, die mit 50 fit sind, es meist bis ins hohe Alter bleiben. Die grössten Stellschrauben sind dabei diejenigen, an denen wir selbst drehen können. Dazu gehören zum Beispiel die Ernährung, das Stressmanagement und die emotionale Gesundheit.

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Die körperliche Fitness spielt eine grosse Rolle dabei, wie gut es einem im Alter geht. Wer mit 80 noch den Berg hochlaufen will, kann nicht erst mit 70 anfangen, zu trainieren.

Bereiten Sie sich auch finanziell auf ein höheres Lebensalter vor?
Je mehr man sich mit dem Thema befasst, desto weniger kommt man um den Gedanken herum, dass man auch finanziell anders kalkulieren muss. Wenn ich anstrebe, auch mit 95 noch ein aktives und spannendes Leben zu führen, dann brauche ich die finanziellen Mittel dafür. Also muss ich jetzt unter Umständen auch besser dafür vorsorgen.

Was bedeutet die Langlebigkeit für die Altersvorsorge allgemein und für Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind?
Für Unternehmen bietet sich sicherlich ein grosser Markt, denn die Menschen müssen länger vorsorgen und sich anders finanzieren. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass dies hauptsächlich über staatliche Systeme aufgefangen wird, und gehe davon aus, dass stattdessen viel über die private Vorsorge laufen wird. Ich persönlich mache mir auch bereits Gedanken darüber, wie mein Kind einmal vorsorgen wird, um im Rentenalter genügend Geld zu haben. Das veranlasst mich dazu, schon jetzt anders zu agieren.

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Thomas Schulz

Thomas Schulz (1973) ist Reporter der Chefredaktion des «Spiegel». Davor berichtete er fast ein Jahrzehnt als Korrespondent für den «Spiegel» aus den USA. 2015 veröffentlichte er das Buch «Was Google wirklich will». Sein Werk «Zukunftsmedizin – Wie das Silicon Valley Krankheiten besiegen und unser Leben verlängern will» erschien im Mai 2018 und zeigt auf, wie Unternehmen und Start-ups im Silicon Valley mithilfe von neuen Technologien an der Medizin der Zukunft forschen. Im September erscheint sein neues Buch «Projekt Lebensverlängerung – Wie 100 gesunde Lebensjahre dank Spitzenforschung und Hightech jetzt schon möglich werden – und was wir selbst dafür tun müssen».

Bilder von Michele Limina. Das Gespräch mit Thomas Schulz fand im Rahmen seines Referats beim Schweizerischen Institut für Auslandforschung (SIAF) statt.

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